Hans Manhart Rede zur
Eröffnung
der Ausstellung " Eberhard Witte - Rückblick
", Kreishaus Helmstedt,
28.01.2006 Lieber Eberhard, liebe Frau
Witte, sehr geehrte Damen und Herren ! "Ich male keine bestimmten
Themen, sondern immer nur
Bilder." Dieser Satz des Berliner Malers und Hauptexponenten
der "Jungen Wilden ", Rainer Fetting, könnte von Eberhard Witte
stammen. Auch für Witte hat das Bild als
Ausdruck
gedanklicher Vorstellungen und innerer Haltung stets Vorrang, und so
kann man
ihn trotz Vielgestaltigkeit seines Werkes, nicht als Themenmaler
vereinnahmen. 1921 in Essen geboren, dort und
in Berlin aufgewachsen und seit
1956 in Helmstedt ansässig, gehört er einer Malergeneration an,
die sich nach 1945 mit der von außen nach Deutschland zurückkehrenden Gestaltungsvielfalt
der
Avantgarde auseinandersetzte. Beeinflusst von künstlerischen Strömungen seiner Zeit, verkörpert die Kunst Eberhard Wittes
ein gutes
Stück
zeitgeschichtliche Moderne mit ihren bildsprachlichen Differenzierungen
informeller und meditativer Malerei. Gerade aus dem Wechselspiel von
Anschauung
und Vorstellung bezieht seine künstlerische Arbeit ihre
Spannung. In einem Katalogvorwort führt Dieter Kortegast dazu aus : "In Witte, der nicht
akademischer Maler, sondern Autodidakt
ist, sicherlich ein für ihn positiver Aspekt,
offenbart sich ein ernstzunehmender Künstler, der beim Suchen nach
seiner
Selbstverwirklichung einen weiten Weg von der impressionistischen bis
hin zur
abstrakten oder gegenstandslosen Malweise gegangen ist. Dieser Weg war
nur gangbar,
indem er durch eine sichere Existenz begleitet wurde." Ausgangspunkt war zunächst die Welt des Gegenständlichen, des Sichtbaren,
welches sich aus
der Anschauung bildnerisch konkretisierte. Landschaften, Stadtansichten
oder
Stillleben sind hier häufig wiederzufindende Motive.
Auf einige von ihnen können wir in der heutigen
Ausstellung zurückblicken. Besonders angeregt
hat ihn die
Landschaft Nord-Dänemarks, wohin ihn viele Reisen
geführt haben. Bald aber
interessiert ihn mehr
der Gesamteindruck. Motivdetails werden reduziert und ihre Gestaltung
speist
sich zunehmend aus innerer Vorstellung. Einerseits werden so seine
Arbeiten
gleichnishafter, andererseits erhalten sie auch mehr individuelle
Handschrift," kehrt... der Künstler selbst in das Bild zurück." So Kortegast. Ab Mitte der 70er Jahre werden
die Werke dann strukturbetonter,
bis nur noch Struktur bleibt. Nicht mehr das Abbild von Realität ist wichtig , sondern die
geistig-gedankliche Auseinandersetzung mit ihr, ihre innere Sprache.
Dass die
informelle Malerei zur geistigen und bildnerischen Heimstatt Eberhard
Wittes
wird, erscheint geradezu zwangsläufig. Informell - eigentlich :
ohne Form -
lehnt feste Kompositionsregeln ab, fordert den spontanen schöpferischen Prozess, um über frei erfundene Zeichen, über Rhythmik von Farbe, Form,
Material und
Spur geistige Impulse unmittelbar auszudrücken. Der Begriff „Informell“
kam durch
den Titel einer Ausstellung in Umlauf, die Michel Tapie 1951 in Paris
organisierte :" Signifiance de l'lnformel" (Bedeutsamkeit des
Formlosen ) und ist auf nichtgeometrische, ungegenständliche, also abstrakte Kunst
bezogen.
Ursprünglich aus der
Ecole de Paris hervorgegangen, entwickelte sich daraus eine
internationale
Stilbewegung, welche mit sich teilweise überschneidenden Sammelbegriffen
wie
Tachismus, Action-painting, Art brut oder Abstrakter Expressionismus
belegt
wurde. Auch Eberhard Witte
interessiert das sich aus direktem
Gestaltungsprozess ergebende Wechselspiel von Farbe, Form und Material.
Über aufgeputzten Sanden und
reliefartig in
der Bildfläche stehenden
Strukturflächen baut er
seine Farbschlierungen, -verwischungen und -verwaschungen auf.
Experimentiert
mit alchimistisch anmutenden künstlerischen Zufallstechniken,
erprobt die Decalcomanie, die
Grattage, den Materialdruck, kontrastiert plastisch-pastoses Arbeiten
mit
Ineinanderfließen der
Malfarben. Er balanciert subtil Form und Format, achtet auf Tiefe und
Spannung
seiner Arbeiten und findet im gestalterischen Machen zum eigentlichen
Bild. Emil Schumacher macht uns das
Prozesshafte informeller Kunst
nachvollziehbar: "Ich gehe das Bild unmittelbar an, dabei kommt es zu
einer Begegnung des Materials mit mir, wobei ich ihm oft den Willen
lasse, denn
ich habe erfahren, dass es weiser ist, als alle Berechnungen. Handwerk,
Technik
und Erregung sind eins. Die Farben reißen Formen an sich, die Zeichen
verlangen
Farben - indem ich mich mitreißen lasse, gewinne ich mein
Bild." So auch bei Witte . Dieser
Prozess liegt in seinen Arbeiten offen zutage : Wie durch ein Fenster
lassen
sich Aufputz, Imprimitur, Untermalungen, darin eingeritzte Strukturen
oder
aufmontierte Materialien ausmachen, die teilweise erneut in Übermalungen eingebettet werden.
Der Malakt
beinhaltet Chaos und Ordnung, Zufall und Kalkül, Aufdeckung und Verhüllung zugleich, und ist im
Ergebnis
Spurensuche wie Spurensetzung. Oder um wieder Schumacher zu zitieren :
"Mir ist wichtig, dass der Betrachter die Entstehung eines Werkes
nachvollziehen kann. Erklärungen finde ich aber völlig überflüssig... Wenn ein Bild den
Betrachter nicht
unmittelbar berührt, dann fehlt
etwas. Das Bild steht für sich, ... existiert und
wirkt." Die heutige Retrospektive, die
aufgrund vieler freundlicher
Leihgaben aus öffentlichem wie
privatem Besitz zustande kam, veranschaulicht und verdeutlicht, mit
welchem
Gespür und mit
welcher feinschmeckerischen Akkuratesse Farbtonwerte, stoffliche Klänge des Bildgrundes, Form und
Format
zueinander gesetzt werden können. Die Möglichkeiten von Malerei werden
zusätzlich durch Einbeziehung
kunstferner Materialien
erweitert, welche in ihrer Alltäglichkeit bisher in diesem Maße nicht der Farbmaterie
beigegeben worden
waren. Gips, Kaffeesatz und Sand finden sich beispielsweise auch in den
Arbeiten von Eberhard Witte. Damit ist ihnen abzulesen, dass sie sowohl
aus
Formlosem als auch aus Form bestehen. Nicht allein aus dem Bauch heraus
sind
die Bilder gemalt, sondern wohl kalkuliert, wenngleich oft ein
chaotischer
Ursprung Ausgangspunkt ist. Aber das anfängliche Chaos von Material und
Machen
weicht der reflektierenden, wohlinszenierenden Ordnung und führt - womit wir wieder bei
Rainer Fetting
sind - zum eigentlichen Bild. Deutlich wird das besonders an den Gemälden, welche aleatorische
Verfahren und
konstruktive Gestaltprinzipien, stoffliche Ästhetik und meditative Aspekte
gleichrangig zeigen. Sie sind in dieser Ausstellung besonders im oberen
Galeriebereich zu sehen. Stets aber gilt: die Linie macht sich frei von
motivumschließender Funktion,
Malsubstanz erhält Eigenwert,
Form durchdringt Farbe und umgekehrt. In das Oevre eingestreut finden
sich immer wieder gegenständliche Arbeiten wie das großformatige Motiv von der
Kreuzigung
Christi, das im Gemeindesaal der St. Thomas-Kirche hängt, oder die daneben
exponierte
Arbeit" Gegen Folter und Todesstrafe ", die Wittes
langjähriges Engagement für amnesty international zeigt.
Hinzuweisen
ist auch auf die gegenständliche Werke - Landschafts-
und Helmstedtmotive - der oberen
Flurgalerie, wenngleich diese nur als Reproduktionen, gezeigt werden können. Manch einer mag sich fragen :
Gegenständliches neben Abstraktem, geht
denn das?
Es geht. Denn beide Bildsprachen schließen sich nicht aus, sondern
bedingen
einander, so wie auch Form und Inhalt voneinander nicht trennbar sind.
Gegenständliches ist Quelle und Anlass
zu ästhetischer Reflexion,
Abstraktes wird zum
eigentlichen Fluss seiner Gedanken und inneren Vorstellungswelt.
Abstraktion
ist nichts anderes als künstlerische Verallgemeinerung.
Wittes grundsätzliches Interesse an Natur,
die er
treffend und formsicher immer wieder darzustellen weiß, ohne vor ihr zu sitzen (" Ich
schaffe sie mir selbst."), führt ihn dazu, dass er ihre
Strukturen auch
im Cezanne'schen Sinne " als Harmonie parallel zur Natur" in seinen
informellen Bildern vergeistigt. |
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