S. Heinig/ M. Kretschmann/ M. Lange/ Chr. Scherer/ Th. Schmidt/ W. Witte

Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen durch die Jugendarbeit (1)

Junge Menschen, die in einer Gesellschaft, deren Kommuniakation zunehmend durch neue, digitale Medien geprägt ist, müssen darin unterstützt werden, sich diejenigen Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, die zur Teilhabe an einer solchen Mediengesellschaft notwendig sind.

Die Jugendarbeit bietet zur Förderung von Medienkompetenz ein besonders geeignetes Handlungsfeld, weil sie an den konkreten Interessen von jungen Menschen anknüpft, einem ganzheitlichen sozialen Bildungsbegriff und dem Beteiligungsgebot verpflichtet ist. Bereits im Beschluss der Jugendminister zur Medienpädagogik 1996 (2) wurde verdeutlicht, dass die Jugendarbeit über Methoden der medienpädagogischen Bildung verfügt, die der Entwicklung und den Nutzungsmöglichkeiten der Neuen Medien eher entsprechen als die auf Wissensvermittlung zentrierte Bildungspraxis im Schulbereich. Zahlreiche Jugendfreizeitstätten nutzen mittlerweile das Internet, richten Internet- und Multimediacafes ein, veranstalten Anwenderkurse und präsentieren ihre Arbeit auf Internetseiten. Hinzu kommen CD-ROM-Produktionen, digitale Musik-, Foto- und Zeitungsprojekte. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass ein grosser Teil der Internetaktivitäten im Chatten, Surfen und Spielen besteht, also weitgehend kommunikativen Mustern entspricht, die auch sonst bei Jugendlichen beliebt sind. 

Neue Medien in der Jugendarbeit, dies ist ein weitgehend experimentelles Arbeitsfeld. Handlungskonzepte entstehen großteils vor Ort in Projekten und Einrichtungen. Maßgebend sind medienbezogene Fähigkeiten und Interessen von Jugendlichen und MitarbeiterInnen, Angebotsschwerpunkte von Einrichtungen, materielle Ausstattungen, Kooperationsmöglichkeiten im Umfeld und das jeweilige medienpädagogische Reflexionsniveau der KollegInnen. Trotz umfangreicher Theorie- und Textproduktion zum Thema „Jugend und Neue Medien“ entfaltet sich die Praxis in den Jugendfreizeiteinrichtungen weitgehend naturwüchsig anhand konkreter Interessen und Erfordernisse. Aus dieser - auch aus anderen Zusammenhängen der Jugendarbeit vertrauten - Herangehensweise ergibt sich ein großer Bedarf an Erfahrungsaustausch, Konzepttransfer und theoriegeleiteter Reflexion, damit Jugendarbeit für die Entwicklung von Medienkompetenz bei Jugendlichen ihre zentralen Aufgaben erfüllen und ihre Bildungspotentiale ausschöpfen kann.

Im Hinblick auf Jugendliche ist der Begriff „Neue Medien“ allerdings nur unter Vorbehalt zu benutzen. Mittlerweile ist eine Generation Jugendlicher herangewachsen, für die der Umgang mit Computer, Internet und e-mail ebenso selbstverständlich ist wie die Nutzung von Fernseher und Videorecorder. Es zeichnet sich ab, dass es sinnvoller ist von einer Ungleichzeitigkeit zugehen, wonach einige Bevölkerungsgruppen leichter Zugang zu diesen Medien finden als andere. Dieses als  Wissenskluft bekannte Phänomen entfaltet zunehmend seine Problematik: jüngere, bessere gestellte Menschen pflegen selbstverständlichen Umgang mit den Neuen Medien, ältere und sozial benachteiligte nehmen an an diesem Bereich geselcshaftlicher Kommenunikation praktisch nicht teil. Jugendarbeit hat hier die Aufgabe einen Beitrag zur sozialen Ausgleich und zur Chancengleichheit zu leisten.

Internet – oder Multimedia-Cafes: Inseldasein oder zentraler Kommunikationsort ?

Für die Klärung der Frage, welche Rolle Computer bzw. Neue Medien in Jugendfreizeiteinrichtungen spielen sollen, muss verdeutlicht werden, dass es sich hier im Unterschied zu anderen medienpädagogischen Handlungsfeldern wie Video-, Foto-, Tonstudio- oder Zeitungsarbeit kaum um abgrenzbare Bereiche handelt. Neue Medien greifen in alle anderen Bereiche ein, vernetzen und prägen sie neu. Kochgruppen tauschen ihre Rezepte über das Internet aus, Gruppen, die internationale Begegnungen organsieren kommunizieren mit ihren Partnern per e-mail und Internet, die „traditonellen“ Medien sind einbezogen wie der „offene Bereich“, der sich in die Chaträume verlängert, organiserte Informationssuche im Internet zu allen Interessen- und Handlungsbereichen von Kindern und Jugendlichen. Die Befürchtung, dass die BesucherInnen ihre Zeit nun ausschliesslich vor dem Bildschirm verbringen, ist nach Erfahrungen aus Jugendeinrichtungen weitgehend unbegründet. Eher ist festzustellen, dass junge Menschen die neuen Medien gezielt für ihre Interessen nutzen und traditionelle Aktivitäten bis in den Sportbereich hinein eine Belebung erfahren können.

Das Internet- und PC-Angebot zieht zusätzliche BesucherInnen an, teilweise ist gerade auch ein verstärkter Besuch von Mädchen festzustellen, die in vielen Einrichtungen sonst eher in der Minderheit sind. Neben dem Angebot wird auch die Besucherstruktur vielfältiger. Erfahrungen aus dem Berliner Bezirk Neukölln und aus der Arbeit mit Jugendlichen aus Jugendszenen zeigen, dass Jugendliche, die besonders medieninteressiert sind, häufig gewonnen werden können ihre Kenntnisse und Fähigkeiten für die Anleitung von jüngeren bzw. weniger kenntnisreichen Jugendlichen einzusetzen. Neue Medien bieten günstige Voraussetzungen für die Förderung von Hilfsbereitschaft, Selbstorganisation und freiwilligem Engagement, weil die vielen großen und kleinen Kniffe im Umgang mit Hard- und Software sich am besten in einem informellen Kommunikationsprozess vermitteln.

Allerdings ist es nicht so, dass Jugendliche die Möglichkeiten des Internet quasi von selbst entdecken und den Weg zu einer optimalen Nutzung für ihre Interessen finden. Häufig benötigen sie Anregungen und Anleitung. Als in einem Jugend- und Kulturzentrum den dort übenden Rockbands die Gelegenheit gegeben wurde, sich mit Fotos, Texten und Musik auf der Homepage zu präsentieren bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit, bis sich die RockmusikerInnen bereitfanden, den notwenigen Aufwand – Musik aufnehmen, Fotos machen, Texte aufschreiben, Homepage gestalten – zu treiben. Die herkömmliche Trennung zwischen unterschiedlichen Medien und ästhetischen Gestaltungsweisen sowie die Identität z.B. als MusikerIn steht im Gegensatz zu den umfassenden kommunikativen Möglichkeiten und Ansprüchen der Neuen Medien. 

Wie lernen Jugendliche mit den Möglichkeiten des Internet umzugehen? In den Freizeiteinrichtungen werden überwiegend zwei Wege beschritten. Zum einen werden Kurse veranstaltet, die das nötige Wissen mit einen relativ festumrissenen Curriculum vermitteln und den TeilehmerInnen Zertifikate (Internet-Führerschein, Key-Card, Mini-Webmaster u.a.) bieten, andererseits wird darauf gesetzt, im laufenden Betrieb jeweils nach Bedarf learning by doing Kenntnisse und know-how zu vermitteln. Manche Einrichtungen verbinden die Zertifikate mit bestimmten Berechtigungen und Kompetenzen, die sich auch auf den gefoderten Kostenbeitrag aufwirken können.

Kostenbeiträge! Die Frage, ob Kinder und Jugendliche für die Nutzung zahlen sollten ist unter Jugendarbeitern außerordentlich umstritten. Während der eine Teil meint, dass die Kosten bereits durch Steuermittel bezahlt seien und zusätzliche Beiträge die Gefahr neuer Nutzungsschwellen heraufbeschwören, setzen andere darauf, dass die Wertschätzung von Angebot und Geräten wachse, wenn ein Beitrag erhoben wird. In vielen Einrichtungen gerade freier Träger besteht die Notwendigkeit Einnahmen zu erwirtschaften. Im Alltag ist die Erhebung von Kostenbeiträgen besonders in der Kooperation mit Schulen problematisch, da sich LehrerInnen meist nicht in der Lage sehen finanzielle Mittel einzusetzen.

Dass medienpädagogische Projekte aufwendig sind und mitunter die Geduld und das Durchhaltevermögen der teilnehmenden Jugendlichen überfordern, ist bereits aus der Arbeit mit „traditonellen“ Medien wie aus der Produktion von Videofilmen bekannt. Ähnliches gilt auch für komplexe Vorhaben im Bereich der Neuen Medien, etwa bei der Gestaltung von Homepageseiten oder der Produktion von CD-ROM. Die gestalterischen Möglichkeiten definieren leicht einen ästhetischen Standard, der die Fähigkeiten der Jugendlichen übersteigt, nahe. So stellt sich die Frage, ob man sich auf schlichte Präsentationen, die den Möglichkeiten der Jugendlichen entsprechen, beschränken soll oder ob die attraktive, auffällige – und damit aufwendige - Präsentation in den Vordergrund gestellt werden soll. 

Hinsichtlich der Rolle, die Neue Medien im Bildungsprozess Jugendlicher spielen, werden widersprüchliche Erfahrungen gemacht. So wird einerseits festgestellt, dass die Geschwindigkeit und Oberflächlichkeit im Bereich der Neuen Medien Jugendliche in deren Sprunghaftigkeit bestärken, andererseits finden sich Beispiele, wo Kinder und Jugendliche über Neue Medien den Einstieg in eigenes gestaltendes Handeln finden. So kann Karaoke-Singen ein Einstieg in eigenes Musizieren sein ebenso wie Malprogramme das Interesse am Bildnerischen Gestalten mit Pinsel und Farbe wecken können.

Vermehrt machen Freizeiteinrichtungen Computerangebote auch für Kinder. Die Auffassung, wonach Kinder zunächst ausreichend Primärerfahrungen machen müssen bevor sie sie sich dem Computer zuwenden, weicht der Einsicht, dass beide Bereiche sich miteinander und parallel entwicklen müssen. Für Kinder ist, im Unterschied zu Erwachsenen sind Medien Gebrachsgegenstände, die sich nicht grundsätzlich von anderern unterscheiden. Nicht zuletzt die Eltern äußern Interesse daran, dass ihre Kinder mit pädagogisch sinnvoller Lernsoftware und Edutainment-Produkten vertraut gemacht werden, damit die Kinder Alternativen zu den „Daddelspielen“ erhalten. 

Wie bei anderen Angebote der Jugendarbeit, so zeigt sich auch im Bereich der Neuen Medien eine geschlechtsspezifische Nutzung. Die Erfahrungen aus Jugendeinrichtungen sprechen dafür, dass Mädchen eher die kommunikativen Angebote, insbesondere das Chatten nutzen und Jungen eher für technische Fragen und Programm-Tüfteleien zu interessieren sind. Für die Jugendarbeit gilt es, dafür zu sorgen, dass sich im Bereich der Neuen Medien nicht die üblichen Geschlechtsrollenmuster durchsetzen, sondern dass gerade auch Mädchen angeregt werden, die gestalterischen Möglichkeiten zu nutzen.

Aus einigen Einrichtungen wird berichtet, dass gerade türkisch- und arabischstämmige Mädchen im Internet ihre oftmals engen Rollenfestlegungen umgehen können. Das Umgehen ethnischer Identitäten wird auch hinsichtlich türkischer Jungen berichtet, die sich durch die Möglichkeit der freien Namenswahl beim Chatten über rassistische Stigmatisierungen hinwegsetzen können.

Die Ausweitung der Medienpalette stellt die PädagogInnen vor Herausforderungen. Gerade im sich rasch wandelnden Bereich der Neuen Medien erscheint es vielen KollegInnen als aussichtslos auf dem laufenden zu bleiben und den Jugendlichen die notwendige Anleitung bieten zu können. Es sollte auch nicht verkannt werden, der PädagogInnenberuf oftmals gerade deshalb gewählt wurde, weil hier eine unmittelbare Beziehungsarbeit mit Jugendlichen im Mittelpunkt stand. Wenn aber unbestritten ist, dass die Vermittlung von Medienkompetenz eine Zukunftsaufgabe von Jugendarbeit ist, so besteht hier ein großer Motivations-, Fort- und Weiterbildungsbedarf. Zunehmend machen ganze Jugendförderungen der Bezirke von den Möglichkeiten des Weiterbildungsprojektes „Jugendkulturarbeit in Praxis“ Gebrauch. Der rasche Wandel und die Vielfalt der Anwendungsfelder lassen zusätzlich notwendig erscheinen, dass der Austausch unter Jugendarbeiter zu Fragen der Medienarbeit verbessert wird.
 

Schule und Jugendarbeit – kein einfaches Verhältnis

Gerade für die Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen ist die Kooperation von Schule und Jugendarbeit von größter Bedeutung. Dieser grundsätzlichen Einsicht stehen allerdings in der Praxis nach wie vor vielfältige Schwierigkeiten entgegen. Insbesondere ist es dem Schulbereich nur selten möglich, eigene Mittel für Jugendarbeit einzusetzen. Gerade im kostenintensiven Bereich der Arbeit mit Neuen Medien müsste die gemeinsame Nutzung von Resourcen zum Standart werden. Stattdessen gelingt es nur ausnahmsweise, Geräte und Räume z.B. nachmittags für außerunterrichtliche Zwecke zu nutzen. Andererseits gelingt es dem Schulbereich nur schwer, die insbesondere im Rahmen von Projekten genutzten Resourcen des Jugendbereiches aus eigenen Mitteln zu ergänzen. Besonders unverständlich ist in diesem Zusammenhang das CidS-Programm, das nicht einmal solchen Jugendeinrichtungen Unterstützung gewährt, die besonders häufig von Schülerguppen und Schulklassen genutzt werden. Im pädagogischen Alltag erscheinen die fehlenden Regelungen im Schulbereich dann als Anspruchshaltung von Schulen und Lehrern. Nur vereinzelt kann diese Schwerfälligkeit durch den Pragmatismus von einzelnen LehrerInnen und SchulleiterInnen und durch persönliche Kontakte überbrückt werden.
 

Der Schule die Arbeit abnehmen?

Von Eltern werden medienkundige Jugendeinrichtungen zunehmend gebeten, Kurse in der Handhabung von Computern und Programmen zu veranstalten, weil die Schule dies nicht leistet, weil meist weder geeignete Geräte vorhanden sind und weil sich nur wenige LehrerInnen in den gebräuchlichen und arbeitsmarktrelevanten Programmen auskennen bzw. dies im Unterricht vermitteln (können). Für die Jugendarbeit ergibt sich hier die Frage inwiefern sie diese Lücke füllen soll – vorausgesetzt, dass sie selbst über die Mittel verfügt. Problematisch erscheint dies vor allem, wenn die „reine“ Vermittlung von Fachwissen angestrebt, ohne das der ganzheitliche sozaile Bildungsauftrag der Jugendarbeit zum Tragen kommt. 
 
 
 
 

Anmerkungen

(1) Der Beitrag entstand als Resümee des Fachforums „Neue Medien und Internet-Cafes in der Jugendarbeit“, das am 13. und 14. September 1999 in Berlin durch die LAG Medienarbeit e.V., die LKJ Berlin e.V. und die Senatsverwaltung für Schule, Jugend, und Sport veranstaltet wurde und an dem 90 KollegInnen aus Einrichtungen der Berliner Jugendarbeit teilnahmen. Die vollständige Dokumentation ist erhältlich bei: LAG Medienarbeit e.V. c/o Medienzentrum Prenzlauer Berg Christinenstraße 18/19, 10119 Berlin. Hier gibt es auch die Dokumentation der Fachtagung „Machmedia“, die 1998 ebenfalls in Berlin stattfand und auf die im Text verschiedentlich Bezug genommen wird.
(2) vgl. Beschluss der Jugendministerkonferenz am 13./14. Juni 1996 „Medienpädagogik als Aufgabe der Jugendhilfe“ und „Medienpädagogik im Kinder- und Jugendbereich“