Wolfgang Witte

„Was ist Suchtprävention?“ – Plädoyer für eine unmögliche Mission

Als ich Anfang der achtziger Jahre die ersten Berührungen mit dem Thema Suchtprävention – damals noch: Suchtprophylaxe - hatte, arbeitete ich als Leiter einer Jugendfreizeitstätte. Für die Ausstattung der Rockmusikarbeit der Einrichtung benötigten wir damals etwas Geld zum Kauf von Instrumenten. Die Kollegin, die in der bezirklichen Jugendförderung für Suchtprophylaxe zuständig war und die die damals noch vorhandenen Finanzmittel des Landes zur „auftragsweisen Bewirtschaftung“ verwaltete, legte mir nahe, das Vorhaben als Maßnahme der Suchtprophylaxe zu beantragen. Es fiel mir nicht schwer eine passende Begründung zu Papier zu bringen. Die gewünschten Mittel standen bald bereit und bildeten die Grundlage für eine jahrzehntelange erfolgreiche Förderung von rock-, pop- und hiphop-interessierten Jugendlichen.

In späteren Jahren sollte ich – dann bei den Mobilen Teams - noch häufiger Gelegenheit bekommen, finanzielle Mittel für Suchtprophylaxe/Suchtprävention zu beantragen. Daraus entstanden viele sehr nützliche, oft auch innovative Projekte für die Berliner Jugendarbeit. Das Schreiben solcher Anträge hat allerdings zwiespältige Gefühle hervorgerufen. Die Begründung und die Behauptung einer suchtpräventiven Wirkung konnte ich immer mit Überzeugung vortragen. Etwa, dass junge Menschen, die in einem relativ drogenfreien Raum lernen durch Musik ihren Gefühlen und ihrem Geschmack Ausdruck geben, die ekstatische Erlebnisse ohne Drogen machen, die lernen sich in einer Gruppe, einer Band mit anderen abzustimmen und gemeinsam Ziele zu verfolgen, weniger suchtgefährdet sind als Jugendliche, die Musik und Medien nur passiv konsumieren: diese These finde ich heute so einleuchtend wie damals. Andererseits: Hätte das Förderprogramm der „kulturellen Bildung“, der „politischen Bildung“, der Unterstützung der Offenen Jugendarbeit gegolten, hätten meine Projekte nicht wesentlich anders ausgesehen. 

„Was ist Suchtprävention?“ Die Frage kommt mir vor wie ein Mantra aus dem Zen-Buddhismus. Es lässt sich vorzüglich und assoziationsreich darüber nachdenken, diskutieren und meditieren. Immer war das Nachdenken über diese Frage fruchtbar, wie die zahlreichen eindrucksvollen Projekte der Mobilen Teams – und der häufige Streit um das richtige suchtpräventive Konzept - zeigen. Vielleicht, weil die Frage letztlich sinnlos ist. Suchtprävention „ist“ nicht, sie konkretisiert sich nicht in bestimmten Tätigkeiten. Suchtprävention beinhaltet eine negative Wirkungserwartung. Kinder und Jugendliche sollen nicht, oder wenigstens seltener süchtig werden. Für Jugendarbeit, die sich am besten auf das Fördern von Interessen und Neigungen versteht, ist das eigentlich eine unmögliche Aufgabenbeschreibung. 

Das Nachdenken über Suchtprävention hat immer wieder auf die Grundlagen der emanzipatorischen Jugendarbeit geführt. Im Kern geht es darum, Kinder und Jugendliche darin zu unterstützen, ein Leben in Eigenverantwortung zu führen und ihre Fähigkeit zur Bewältigung auch schwieriger Lebenslagen zu stärken. Die Mobilen Teams kennen hierfür die schönen Wörter der Förderung von Lebenskompetenz, der funktionellen Äquivalente und der protektiven Faktoren.

Berlin ist in Bezirke, Stadtteile und Kieze aufgeteilt. Die Jugendarbeit ist durch unterschiedliche regionale und institutionelle Schwerpunkte, Kulturen und Berufsbiografien geprägt. Oft gerät dabei aus dem Blick, dass Berlin eine Stadt ist und dass es sich lohnt auch über Bezirks- und Institutionsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Die Mobilen Teams sind besonders geeignet, solche Kooperationen zu veranlassen und zu stützen. Die bezirksübergeifende Projektarbeit war lange geradezu ihr Markenzeichen.

Also: auf die Zukunft der Mobile Teams! Selbst wenn die Mission kaum erfüllbar scheint, klar ist: Solange es in Berlin noch Jugendeinrichtungen gibt, die wie selbstverständlich ihren BesucherInnen alkoholische Getränke anbieten und in denen mit Jugendlichen unbedacht Beziehungszigaretten geraucht werden, solange es innovativer Praxiskonzepte und Kooperationsstrukturen für eine emanzipatorische Jugendarbeit bedarf, solange werdet Ihr dringend gebraucht.
 

in: Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Mobilen Teams zur Suchtprävention (Landesjugendamt Berlin 2003)