Wolfgang Witte

Wörterbuch der Theaterpädagogik: Stichwort "Kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen"

K.B. ist zugleich ein Bestandteil jedes Sozialisationsprozesses und eine Querschnittsaufgabe zahlreicher Politikfelder, wie der Schul- und Kulturpolitik. Insbesondere ist K.B. von Kindern und Jugendlichen als Schwerpunkt der Jugendhilfe/Jugendarbeit im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII § 11 Abs. 3 gesetzlich verankert. Sie stellt damit den zentralen übergeordneten Begriff für alle theater- und kunstpädagogischen Angebote dar soweit sie der Jugendarbeit zuzurechnen sind. Jugendarbeit wendet sich an alle jungen Menschen im Alter von 6 bis 27 Jahren, wird von den Kindern und Jugendlichen freiwillig wahrgenommen und zeichnet sich durch Angebots- und Methodenvielfalt aus. Förderung von individueller Entwicklung, sozialer Verantwortung, Selbstorganisation, allgemeine Bildung, Prävention und Integration sind zentrale Ziele. Die Angebote der Jugendarbeit orientieren sich an der Lebenswelt und den sozialen Räumen der jungen Menschen. Träger von Jugendarbeit sind Jugendverbände und Jugendinitiativen, freie gemeinnützige und kommunale Träger. Jugendarbeit unterscheidet sich von anderen Bereichen der Jugendhilfe und der Sozialarbeit dadurch, dass Kinder und Jugendliche in ihren Stärken, Interessen und Bedürfnissen wahrgenommen werden und defizitorientierte Zielgruppendefinitionen vermieden werden. 

K. B. von Kindern und Jugendlichen folgt einem ganzheitlichen Verständnis von allgemeiner Bildung. Sie zielt auf kognitves, emotionales, und soziales Lernen mit allen Sinnen. Im Unterschied zur Schule sieht sie ihre Aufgabe weniger zentral in der Vermittlung kognitven Wissens. Die Orientierung am situativen Kontext und der hohe Rang von Selbstorganisation erfordern eher als in der schulische Unterricht ein offenes Curriculum. Bezogen auf die einzelnen kulturellen Gestaltungsbereiche wie Musik, Bildende Kunst, Tanz, Theater oder Medienarbeit ergibt sich, dass K.B. nicht in erster Linie der Vermittlung künstlerischer Fähigkeiten und Fertigkeiten oder der Heranziehung künstlerisch-professionellen Nachwuchses dient, sondern junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Handlungsfähigkeit stärken möchte. Andererseits betont K.B., dass Bildung und Erziehung immer auch ein Bearbeiten von Inhalten und Gegenständen einschließt.

Die Begriffe „Kultur“ und „Bildung“ eröffnen ein facettenreiches Bedeutungsspektrum. „Kultur“ meint sowohl die Gesamtheit der durch Menschen geschaffener materiellen und immateriellen Artifakte, als auch - in soziologisch-ethnologischer Tradition – die unterschiedlichen „Lebensweisen“ und - in spezifisch deutscher Tradition - das Feld des vom Alltag unterschiedenen Bereiches der Kunst. Der Begriff der „Bildung“ ist sowohl dem humanistischen Ideal von allgemeiner, umfassender Bildung, der sozialistischen Zielvorstellung einer „allseitig gebildeten Persönlichkeit“ als auch der Praxis schulischer Wissensvermittlung verbunden. K.B. umreisst damit eine Bandbreite differierender Konzeptionen, die jeweils der Präziserung hinsichtlich konkreter Ziele, Zielgruppen und Methoden bedürfen.

Für Jugendarbeit verbinden sich mit den Begriffen „Kultur“ und „Bildung“ unterschiedliche, auch widersprüchliche Handlungsentwürfe. Die in der Folge der Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene musisch-kulturelle Bildung dient besonders der Förderung von Gemeinschaft, z.B. durch gemeinsames Muszieren und Tanzen („Volkstanz“). Außerschulische Bildung nach 1945 zielt als politische Jugendbildung auf der Förderung demokratischen Bewußtseins und setzt hierzu auch kultur- und theaterpädagoische Methoden ein. Kulturpädagogik zielt auf die Vermittlung von gestalterischem kunstbezogenen Handlungswissen und entwickelt seit den siebziger Jahren Konzepte der Nutzung künstlerischer Verfahren für pädagogische Zwecke. Soziale Kulturarbeit setzt künstlerische Mittel gezielt für soziale und politsche Ziele ein. Unter den Begriffen der Jugendkulturarbeit und kulturelle Jugendarbeit bündeln sich in den achtziger Jahren Bestrebungen, die Offene Jugendarbeit durch profilierte künstlerisch-gestalterische Angebote attraktiver zu machen und auch stilorientierte Jugendszenen angemessen zu fördern. In der gegenwärtigen bildungspolitischen Diskussion um Schlüsselkompetenzen und um die notwendigen Folgerungen aus den Defiziten der Institution Schule bietet die ganzheitlich orientierte K.B. vorwärtsweisende Perspektiven. 

Auf Bundesebene ist das Trägerspektrum der K.B. in der „Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung“ (BKJ, www.bkj.de ) organisiert, in zahlreichen Bundesländern bestehen „Landesvereinigungen Kulturelle Jugendbildung“ (LKJ). 

Literatur: (Auswahl)

Ina Bielenberg / Wolfgang Zacharias (Hrsg.) „Kultur Jugend Bildung - Kulturpädagogische Schlüsseltexte 1970 – 2000“,    Remscheid 2001

Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (Hrsg.) „Kultur Macht Schule – Schule und Jugendkulturarbeit in Kooperation“ Remscheid 1997

Jan Engelmann (Hrsg.): „Die kleinen Unterschiede – der cultural-studies-reader“, Frankfurt/New York 1999

Pleiner/Hill (Hrsg.): „ Musikmobile, Kulturarbeit und musikalische Praxis“, Opladen 1999

 

Erscheint Ende 2003 im "Wörterbuch der Theaterpädagogik" (Hrsg. Gerd Koch/Marianne Streisand)