Wolfgang Witte
 

Freiwilliges Engagement - eine Chance für die Jugendarbeit


Ehrenamtliche Tätigkeit, freiwillige Helfertätigkeit oder freiwilliges Engagement spielen in der Jugendarbeit von jeher eine Rolle. Ihre Blüte hatte diese Form der Mitwirkung während der fünfziger und sechziger Jahre in der Arbeit der Jugendverbände. Später dann in der Jugendzentrumsbewegung im Zusammenhang mit der "Selbstorganisation" von Jugendlichen. Hier zeigt sich jedoch, daß für Jugendarbeit genauer bestimmt werden muß, was unter Ehrenamtlichkeit oder freiwilligem Engagement verstanden werden soll. Idealtypisch lassen sich zwei Formen unterscheiden: Einerseits Erwachsene, die Jugendliche anleitend fördern, beispielsweise als Trainer oder Leiter von Jugendgruppen oder als Fachmann in Jugendfreizeiteinrichtungen. Andererseits Jugendliche, die in Gleichaltrigengruppen bestimmte Funktionen übernehmen, was eher analog mit "Selbsthilfe" und "Selbstorganisation" zu sehen ist. Da das freiwillige Engagement von Jugendlichen für Jugendliche möglicherweise eine Perspektive für die zukünftige Entwicklung von Jugendarbeit bietet, soll dieser zweite Aspekt vorrangig diskutiert werden, auch wenn es sich hier nicht um Ehrenamtlichkeit im traditionellen Sinne handelt.

Daß freiwilliges Engagement/Ehrenamtlichkeit in den vergangenen Jahrzehnten seltener geworden ist, hat seine Gründe vor allem in gesellschaftlichen Entwicklungen. Zu nennen sind die geringer gewordene Bindungskraft von Institutionen wie z.B. Kirchen, Parteien und Gewerkschaften sowie der Zerfall der entsprechend geprägten sozialen Milieus, wodurch auch die Bereitschaft sich etwa im Rahmen der Jugendverbände zu engagieren gesunken ist. Dem entspricht die zunehmende Individualisierung und Pluralisierung von Lebenswelten und Identitätsentwürfen. Den ensprechenden Bedürfnissen und Interessen wird von der Jugendarbeit nur selten Raum gegeben. Der kommerzielle Freizeitmarkt ist für Jugendliche meist anziehender als die Angebote der Jugendarbeit.

Die Prägung der Jugendarbeit im Sinne von Sozialarbeit/Sozialpädagogik hat den Rückgang freiwilligen Engagements eher gefördert als aufgehalten, so daß von den unerwünschten Nebenwirkungen dieser Professionalisierung gesprochen werden muß. In dem Maße, wie Sozialarbeiter und Erzieher in Jugendeinrichtungen die dominierenden, auch: die verantwortlichen Personen werden, findet eine Rollenverteilung statt, die Jugendlichen die Rolle von "Teilnehmern" oder gar Konsumenten von Angeboten zuweist. Damit ist ein gewisses Maß an Verantwortungslosigkeit auf seiten der Jugendlichen durch das institutionalle Setting programmiert. Versuche, Jugendliche in einen stark pädagogisch geprägten Rahmen verantwortlich einzubeziehen oder sie gar zu kostenlosen Hilfsdiensten zu gewinnen, finden selten Resonanz.

Nicht weniger problematisch ist, daß Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Erzieher aufgrund ihrer Ausbildung kaum Fähigkeiten besitzen, die ihnen konkretes Handwerkszeug für den Alltag der Jugendarbeit bieten. Wie man beispielsweise Videoarbeit mit Kindern und Jugendlichen macht, wie Theatergruppen angeleitet werden, wie das Interesse von Jugendlichen an Rock, Pop, HipHop und Techno gefördert werden kann, wie ansprechende Öffentlichkeitsarbeit aussieht, wie auf das Interesse von Jugendlichen an Graffiti eingegangen werden kann: all das ist an den Fachschulen und Fachhochschulen kaum zu lernen. Wohl dem, der ein entsprechendes Hobby hat. Jugendliche erwarten aber ein qualifiziertes Angebot, das ihnen für die Identitätsbildung taugliche, wertvolle Gegenstände und Handlungsfelder bietet. So werden mittlerweile im Fort- und Weiterbildungsbereich erhebliche Anstrengungen gemacht, um Mitarbeiter aus Jugendfreizeiteinrichtungen im Hinblick auf konkrete Fähigkeiten zu qualifizieren.

Diesen Bemühungen um eine Qualifizierung von Professionellen sind allerdings Grenzen gesetzt. Kaum denkbar, daß die Mehrheit der Mitarbeiter in der Lage ist, sich in der notwendigen Breite und Tiefe in den aktuellen gestalterischen Praktiken auszubilden und den raschen Wandel, beispielsweise in der Medienarbeit, nachzuvollziehen. Hinzukommt eine, gegenwärtig im Zusammenhang mit postmodernen gesellschaftlichen Entwicklungen diskutierte, Tendenz zur fortschreitenden Auffächerung von Interessen, Bedürfnislagen und Orientierungen bei Jugendlichen, die es erschwert ein klares praxisrelevantes Qualifikationsprofil für Mitarbeiter der Jugendarbeit zu entwerfen.

Freiwilliges Engagement kann hier eine Perspektive bieten, denn Jugendliche sind durchaus breit, sich freiwillig, ohne Honorar in ihren Interessenfeldern zu engagieren. "Ohne Honorar" darf dabei nicht mit "uneigennützig" verwechselt werden. Es muß deutlich sein, was die sich freiwillig Engagierenden von ihrer Tätigkeit haben. Dies kann in einer fachlichen Qualifizierung, in einer Nutzung von Resourcen für eigene Zwecke, in einer Gemeinschaft oder in sozialer Anerkennung liegen. Obwohl zu dieser "Nutzen"-Seite auch ideelle Werte - etwas für andere tun - gehören, kann freiwilliges Engagement heute nicht mehr ausschließlich auf Altruismus und dem Erfüllen moralischer Ansprüche basieren.

Neben dem Nutzen von freiwilligem Engagement für die hier tätigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist zentral, daß die Freiwilligen selbst Verantwortung tragen und das Feld, auf dem sie tätig sind, selbst mitgestalten können. Hier gibt es deutliche Berühungspunkte zu der Diskussion um Selbstorganisation und Mitbestimmung in der Jugendarbeit während der siebziger Jahre.

Die Erfahrungen zeigen, daß freiwilliges Engagement zu einer Erweiterung der Handlungsfähigkeit und Angebotsbreite der Jugendarbeit führt. Die Rolle der Professionellen verlagert sich dabei in Richtung Organisation, Anleitung und Kontrolle der Rahmenbedingungen. Der Begriff des "Sozialmangements" ist in diesem Zusammenhang nicht unproblematisch. So nützlich er für die Ablösung von einer ausschließlich pädagogisch ausgerichteten Jugendarbeit auch sein mag, so birgt er andererseits die Gefahr neuer Mißverständnisse. Zu befürchten ist, daß Sozialarbeiter und Erzieher sich nun so verhalten, wie es ihrem Bild vom Wirtschaftsmanager entspricht. Nicht selten wird der Rückzug auf "kalte" Organisationsarbeit begünstigt und verdeckt, daß gerade die Zusammenarbeit mit freiwillig Engagierten große Aufmerksamkeit für soziale Prozesse, für persönliche Stärken und Schwächen und für Probleme der praktischen Alltagsarbeit erfordert. 

Die Anleitung freiwillig Engagierter erfordert ein hohes Maß an Respekt und Achtung der Fähigkeiten und Interessen anderer. Menschen,die freiwillig tätig sind, erwarten persönliche Wertschätzung. Anders als im Berufsleben werden Störungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen nicht durch Gehälter, Honorare und formelle Verträge überdeckt. Der Vorteil: freiwilliges Engagement ist notwendigerweise engagierte Arbeit. Macht sie keinen Spaß mehr, bringt sie nichts mehr, findet sie nicht mehr statt.

Die Grenzen von freiwilligem Engagement liegen dort, wo überwiegend sozialpädagogisches Handwerkszeug gefragt ist, vor allem wohl in besonders konfliktträchtigen Handlungsfeldern. Kaum vorstellbar ist etwa, daß freiwillig Engagierte über längere Zeit bereit sind sich als Personen zur Verfügung zu stellen, an denen andere Jugendliche ihre Autoritätskonflikte abarbeiten.

Für die weitere Entwicklung der Jugendarbeit wird es von besonderer Wichtigkeit sein, ob es ihr gelingt die Chancen des freiwilligen Engagaments zu nutzen. Dies liegt nicht hauptsächlich in den begrenzten Mitteln, die Jugendarbeit zur Verfügung stehen, begründet. Wichtiger ist die Notwendigkeit sich auf den raschen Wandel und die wachsende Vielfalt der Interessen und Orientierungen von Jugendlichen einstellen zu müssen. Nicht zuletzt bietet die Diskussion über freiwilliges Engagement für die Jugendarbeit einen Anlaß zeitgemäße Formen von Selbstorganisation und Partizipation zu entwickeln.