Wolfgang Witte
 

Überlegungen zu Steuerung und Qualitätsentwicklung der Berliner Jugendarbeit

In der Berlin gibt es derzeit verstärkte Bemühungen, eine landesweit abgestimmte Qualitätsentwicklung für die Jugendarbeit, insbesondere die Jugendfreizeitarbeit einzuleiten. 

Qualitätsentwicklung der Jugendarbeit, zumal als stadtweiter Abstimmungsprozess, zielt darauf, fachlich-pädagogischen Unzulänglichkeiten in den Projekten, in den Verwaltungen und Trägern der Jugendarbeit und auf den Ebenen der Steuerung entgegenzutreten und eine Angebotsstruktur zu fördern, die den Kindern und Jugendlichen, ihren Interessen, Lebenswelten und Problemlagen besser entspricht als dies gegenwärtig oft der Fall ist. Sie ist kein Instrument für die Umsetzung von finanziellen Kürzungen sondern ein Weg, die vorhandenen Angebote und Ressourcen unter fachlichen Gesichtspunkten zielgenauer zu entwickeln. Als Ergebnis werden sowohl ein Handwerkszeug für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen und Projekten zur passgenauen Entwicklung von Konzeptionen    als auch richtige und transparente Maßstäbe für die Bewertung von Jugendarbeit angestrebt. Damit ist auch die Ebene der Steuerung angesprochen. Welche Angebote der Jugendarbeit sollen wo, für wen und auf welche Weise gemacht werden, mit welchem Ziel und welchen Wirkungen? Nicht zuletzt besteht die Notwendigkeit der Klärung in welchem Zusammenhang die Angebote der Jugendarbeit zu anderen Aufgaben der Jugendhilfe, zur Schule und weiteren für Kinder und Jugendliche wichtigen staatlich geförderten Handlungsfeldern stehen. 

Welche Probleme und Unzulänglichkeiten sind es, die Verbesserungen der Qualitätsentwicklung und der Steuerung der Jugendarbeit notwendig machen? 

Das Land Berlin finanziert auf Bezirks- und auf Landesebene insgesamt 497 Jugendfreizeitstätten freier und öffentlicher Träger(Stand: 12/2000) sowie nicht stättengebundene Projekte mit einem Finanzvolumen von insgesamt 185 Mio. DM (JUHBIS, Version Ist 2000). Allein das Produkt 76823 „Allgemeine Kinder- und Jugendförderung“, das im wesentlichen die für die bezirklichen Jugendfreizeitstätten eingesetzten Mittel abbildet, ist das zehntgrößte Produkt im Land Berlin. Hierbei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Gesamtausgaben für Jugendarbeit in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre um ca. 16 Mio. DM gesunken sind. Zudem ist auffällig, dass die Ausgaben für Jugendarbeit zwischen den Bezirken sehr verschieden und kaum durch objektive Faktoren wie z.B. Sozialindikatoren zu erklären sind. Zusätzlich fließen in das Arbeitsfeld umfangreiche Landesmittel zur Kofinanzierung von AFG-geförderten Maßnahmen, hinzu kommen EU-Mittel und Drittmittel von Stiftungen.  

Die inhaltlichen Angebote der Jugendarbeit zeichnen sich durch eine für diesen Bereich typische Mischung von Selbstorganisation, Bildung, Förderung und Prävention aus. Landesweit umfasst der Begriff „Jugendfreizeitstätte“ eine breite Palette unterschiedlicher Einrichtungstypen wie Jugendfreizeitzentren/-heime, Jugendclubs, Jugendläden, Jugendkulturzentren, Kinderclubs, Schülerclubs, Pädagogisch betreute Spielplätze, Kinderbauernhöfe, Sportjugendclubs, Kinder- und Jugendmuseen. Etwa 60 % der Einrichtungen befinden sich in öffentlicher, bezirklicher Trägerschaft, die übrigen 40% werden durch die örtlichen Jugendämter mit Zuwendungen gefördert. 

Die Kehrseite der Angebots- und Trägervielfalt ist, dass in der Berliner Jugendfreizeitarbeit gegenwärtig kaum überbezirklich geltende und gepflegte Qualitätskriterien existieren. Grundsätzlich sind Standards zwar durch die gesetzlichen Grundlagen, durch Senatsbeschlüsse und weitere Vorgaben für Jugendfreizeitarbeit sowie durch Konzeptionen auf Einrichtungs- und Bezirksebene vorhanden. Diese Aussagen haben jedoch überwiegend einen allgemein-konzeptionellen Charakter und sind nicht systematisch mit der Entwicklung der pädagogischen Praxis vor Ort, einem Berichtswesen, einer Fach- und Jugendhilfeplanung und der jugendpolitischen Steuerung verknüpft. Die Heterogenität der Inhalte, Methoden und Angebote wird in Berlin durch die Folgen der Vereinigung, insbesondere durch Transformationsprozesse auf Träger- und Konzeptionsebene verstärkt.

In der Berliner Jugendfreizeitarbeit sind ca. 2.000 pädagogische Fachkräfte tätig , wovon etwa drei Viertel Erzieher- und ein Viertel Sozialarbeiterstellen sind. Zahlreiche Stellen sind mit Beschäftigten besetzt, die als Quereinsteiger oder mit DDR-Berufsbiografien „in der Tätigkeit von“ Erziehern und Sozialarbeitern arbeiten, jedoch über keine vollständige Fachausbildung verfügen. Der Altersdurchschnitt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendarbeit ist mit ca. 40 Lebensjahren vergleichsweise hoch und begünstigt, dass Konzeptionen und Methoden unhinterfragt fortgeführt werden. Bei den freien Trägern sind zusätzlich mehrere hundert Stellen mit AFG-Förderung angesiedelt, die zeitlich befristet sind und in der Regel nicht mit pädagogisch ausgebildetem Fachpersonal besetzt sind. Ein großer Teil des Angebotes vor Ort wird durch Honorarmitarbeiter und auch von ehrenamtlich Tätigen erbracht, was für die Attraktivität der Jugendarbeit notwendig ist und dem Ziel der Förderung von Eigenverantwortung und Selbstorganisation entspricht, aber auch Fragen der Fachlichkeit aufwirft. Deutlich wird, dass eine Qualitätsentwicklung auch Anforderungen an die Qualifizierung und die Fortbildung der Beschäftigten im Arbeitsfeld beinhaltet.

Unterschiedlicher Mitteleinsatz für Jugendarbeit in den Berliner Bezirken unter den Bedingungen knappen Haushaltsmittel, geringe Verständigung über Ziele, Zielgruppen und Methoden sowie eine unterschiedlich ausgeprägte Fachlichkeit verweisen auf die Notwendigkeit von Qualitätsentwicklung.

Eine berlinweite Weiterentwicklung des Qualitätsmanagements für die Jugendarbeit ist kaum ohne den Ausbau fachlich begründeter stadtweiter Steuerungsinstrumente vorstellbar. Maßnahmen der fachlichen Steuerung von Jugendarbeit werden gegenwärtig überbezirklich hauptsächlich dadurch umgesetzt, dass für jugendpolitische Schwerpunkte wie der Bekämpfung von Rechtextremismus und Gewalt, von Suchtgefahren, die Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen oder die Förderung der Kooperation von Schule und Jugendarbeit zusätzliche Mittel eingesetzt werden, die aber nicht unmittelbar steuernd auf den Kernbereich der Jugendfreizeitarbeit wirken.

Ebenso existiert ein valides quantitatives Berichtswesen derzeit trotz der bezirks- und landesbezogenen Produktentwicklung nur in Ansätzen. Der aktuelle Stand des Produktkataloges und der Kosten- und Leistungsrechnung zeigt erhebliche Probleme mit der Realisierung einer revisionssicheren Budgetierung und fachgerechten Mittelzumessung.

Die Steuerung der Jugendarbeit in den Berliner Bezirken findet durch die Bezirksämter statt, die hierfür im Rahmen ihres Globalhaushaltes Mittel für Jugendarbeit in unterschiedliche Höhe bereitstellen. Neben dem Unterschied zwischen Einrichtungen in freier und in öffentlicher Trägerschaft ist das konkrete Zusammenwirken von Bezirksverordnetenversammlung, Jugendhilfeausschuss, Stadträten, Verwaltung und Trägern ebenso bezirksspezifisch wie der Einsatz von Qualitätsmanagementverfahren. Etwa die Hälfte der Berliner Bezirke hat bereits eigene Qualitätsentwicklungs- und Evaluierungsverfahren entwickelt. 

Die Anforderungen, die sich aus dem Fehlen eines berlinweit abgestimmten Qualtätsmanagements ergeben, lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

- Ziele, Inhalte und Methoden der Jugendfreizeitarbeit müssen stadtweit und trägerübergreifend geklärt werden
- Für die Konzeptionsentwicklung, die Evaluation und das Berichtswesen müssen fachliche Instrumente erarbeitet werden 
- Für die Umsetzung von Qualitätskriterien sollen Aussagen zu Ausstattungsstandards erreicht werden
- Die Qualität der ziel-/wirkungsorientierten Steuerung von Jugendarbeit muss verbessert werden
- Die Qualitäten der Jugendarbeit müssen den Steuerungsebenen der Politik und der Öffentlichkeit transparent vermittelt werden
- Die Erarbeitung des stadtweiten Qualitätsmanagements muss der dialogischen Tradition der Jugendarbeit entsprechen, als mehrperspektivischer Aushandlungsprozeß gestaltet werden und die verschiedenen Steuerungs-, Träger- und Verwaltungsstrukturen berücksichtigen
- Die Schnittstellen zu anderen Aufgabenfeldern der Jugendhilfe, auch zum Schulbereich und anderen Kinder und Jugendliche betreffende Bereiche müssen geklärt werden

Neben dem ausgeführten fachlichen Bedarf an einer Qualitätsentwicklung der Jugendarbeit bestehen auch gesetzliche Verpflichtungen ein solches Vorhaben umzusetzen. Das Verwaltungsreformgrundsätzegesetz, das die Grundlagen der Berliner Verwaltungsreform regelt, schreibt in § 7 vor, dass die Behörden eine systematische und regelmäßige Qualitätssicherung betreiben sollen. Die bisherige Produktbildung beinhaltet entsprechend bereits Qualitätsdefintionen für die Jugendarbeit. In § 78 SBG VIII werden Leistungs- und Entgeltvereinbarungen, die zunehmend auch im Bereich der Jugendarbeit Anwendung finden, mit Qualitätsbeschreibungen und Maßnahmen der Qualitätssicherung und Entwicklung verbunden.

Der Bedarf an einer systematischen Qualitätsentwicklung in der Jugendarbeit wird auch länderübergreifend festgestellt. Der für Jugendarbeit zuständige Fachausschuss der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter hat hevorgehoben, dass die Qualitätsentwicklung der Jugendarbeit eine gemeinsame Aufgabe von öffentlichen und freien Trägern ist, die klare und operationalisierte Ziel- und Qualitätsvorstellungen bei den öffentlichen Trägern benötigt und Erkenntnisse der Fachwissenschaften berücksichtigen sollte .

Die Qualitätsentwicklung der Berliner Jugendarbeit muss nicht völlig neu erfunden werden. Sowohl in anderen Bundesländern als auch bei den öffentlichen und freien Trägern existieren Modelle der Qualitätsentwicklung, der Selbst- und Fremdevaluierung, des Berichtswesens und der ziel-/wirkungsorientierter Steuerung. Für die Berliner Jugendarbeit stellt sich als Aufgabe, diese Modelle und Ansätze aufzunehmen, für die eigenen Zwecke zu bewerten und zusammenzuführen. 

In der Berliner Jugendhilfe außerhalb der Jugendarbeit finden auf Landesebene gegenwärtig Modellprojekte in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und Jugendberufshilfe statt mit dem Ziel Hilfeplanverfahren zu qualifizieren. Der Bereich der Tagesbetreuung erarbeitet gegenwärtig Qualitätsstandards der pädagogischen Praxis und der Trägerqualität bundesweit „Nationalen Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“; Berlin ist hierbei mit drei Teilprojekten beteiligt. Weiter hat das Landesjugendamt Berlin zur Sicherstellung einer erfolgreichen internatsbezogenen außerschulischen Jugendbildungsarbeit mit den Trägern der vom Land Berlin geförderten Jugendbildungsstätten ein Verfahren zur Qualitätsentwicklung und -sicherung mit einem abgestimmten Evaluationssystem eingeführt, das seit 5 Jahren umgesetzt wird. Für die Qualifizierung der Zuwendungsverfahren wurde durch eine stärkere fachliche Prägung von Antrags- und Berichtswesen ein deutlicher Schwerpunkt auf die Umsetzung von pädagogischen Zielen gelegt. In Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII werden Qualitätskriterien für den Erholungsbereich, die geschlechtsspezifische Jugendarbeit, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und die Medienbildung/Medienerziehung erstellt.

In Nordrhein-Westfalen wurde 1997 ein Projekt installiert, das in einem Wirksamkeitsdialog die Qualitätskriterien der Jugendarbeit klären und Hinweise für eine fachliche Steuerung der verschiedenen Handlungsfelder geben sollte. Neben der Jugendfreizeitarbeit (Offenen Jugendarbeit) wurden auch die Jugendverbandsarbeit und die kulturelle Jugendbildung untersucht. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor . Besonders bemerkenswert erscheinen die Ergebnisse der Projektgruppe WANJA, die ein für die Konzeptionsentwicklung und Selbstevaluation in den Einrichtungen der Jugendarbeit besonders taugliches Instrumentarium bereitstellt. Systematisch sind hier die Schwerpunkte und Kernprozesse der Jugendfreizeitarbeit (Offene Jugendarbeit) vor dem Hintergrund der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse und eigener empirischer Untersuchungen aufgearbeitet worden und in praxistaugliche Qualitätskriterien und –indikatoren übersetzt worden. Hinzu kommen Modelle für eine qualitätsorientierte Berichtserstattung und einen kommunalen Wirksamkeitsdialog über Ziele und Wirkungen von Jugendarbeit. Besonders wegen seiner dialogischen Charakters und seiner schlüssigen Systematik können die WANJA-Instrumente Orientierung bieten. Für die konkrete Ausformierung dagegen erscheint eine „Übersetzung“ für die Berliner Anforderungen nötig.

In der Hälfte der zwölf Berliner Bezirke liegen ebenfalls Erfahrungen zur Qualitätsentwicklung vor. In allen Fällen wurde eine Verständigung auf Bezirksebene über Schwerpunkte, Qualitätskriterien und großteils auch über Bewertungsverfahren erreicht. Teilweise gelang die Verknüpfung mit einer zielorientierten Steuerung im Rahmen des Zuwendungsverfahrens bzw. von Zielvereinbarungen. Die Schnittstelle zwischen einrichtungsinternem Qualitätsmanagement einerseits sowie Berichtswesen und Steuerung andererseits erwies sich allerdings auch häufig Problemfeld und Bruchstelle, da sich aus den Evaluationsergebnissen nur begrenzt zuwendungsrelevante Schlüsse ziehen ließen. Weiterer Klärungsbedarf wurde im Hinblick auf die sozialraumbezogene Steuerung von Jugendarbeit und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen deutlich. Bezogen auf die Berliner Bezirke bleibt festzuhalten, dass die Verfahren des Qualitätsmanagements unterschiedlich ausgeprägt sind. Hieraus folgen aktuell verstärkt Bemühungen für eine überbezirkliche, stadtweite Abstimmung. Im Bereich der freien Träger existieren ebenfalls zu berücksichtigende Erfahrungen, u.a. im Bereich der Kinderbauernhöfe, der Jugendsozialarbeit, aber auch in Einrichtungen der kulturellen Bildung. 

Deutlich wird bei der überblickhaften Skizzierung des aktuellen Diskussionsstandes über ein Qualitätsmanagement in der Berliner Jugendarbeit, dass eine wesentliche Anforderung an die weitere Entwicklung darin besteht, einen dialogischen Arbeits- und Abstimmungsprozess in Gang zu setzen, der die vorhandenen Erfahrungen aufnimmt, der Ziel- und Wirkungserwartungen präzisiert und der für die Einrichtungen und Projekte der Jugendarbeit alltagstaugliche Qualitätsinstrumente bereitstellt.

Literatur:
   
Fachausschuss 2 der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter: „Qualitätsentwicklung in der Jugendarbeit – Ein Beitrag zur aktuellen Fachdiskussion„ Mai 2001

Projektgruppe WANJA: „Handbuch zum Wirksamkeitsdialog in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit„, Münster 2000 (Votum Verlag)

Hiltrud v. Spiegel (Hg.): „Jugendarbeit mit Erfolg – Arbeitshilfen und Erfahrungsberichte zur Qualitätsentwicklung und Selbstevaluation ein Modellprojekt des Landesjugendamtes Westfalen-Lippe„ 
Münster 2000 (Votum Verlag)

Gilles/Buberl-Mensing: „Qualität in der Jugendarbeit gestalten - Konzeptentwicklung, Evaluation und Fachcontrolling„ Köln 2000 (Landesjugendamt Rheinland)

Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung NRW: